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Deutsche Aktienkultur stirbt

Immer mehr deutsche Unternehmen gehen in den USA an die Börse

Während im DAX die Skandale Hochkonjunktur haben, spielen sich die echten deutschen Erfolgsgeschichten immer öfter im Ausland ab. Bereits 2015 ging das Softwareunternehmen Shopify, das von einem Deutschen in Kanada gegründet wurde, in Toronto und New York an die Börse. Heute ist es mehr wert als jeder deutsche Autobauer, mehr wert als Siemens oder der DAX-Versicherungskonzern Allianz. Und auch das Tübinger Biotechnologieunternehmen CureVac, das am 14. August an die Börse ging, tat dies in New York und nicht etwa in Frankfurt.

Die Nasdaq ist der Lieblingsplatz von Biotech-Firmen aus aller Welt. Im Biotech-Index sind mehr als 200 Firmen gelistet, so auch das Mainzer Unternehmen BioNTech, das im Herbst 2019 sein erfolgreiches IPO in den USA feierte. Für CureVac erwies sich diese Entscheidung ebenfalls als richtig. Hatte CEO Franz-Werner Haas noch für 16 Dollar je Aktie die Börsenglocke an der New Yorker Nasdaq geläutet, sprang die Erstnotiz schon mit 44 Dollar an den Start und legte bis zum Börsenschluss einen Spurt auf 77,20 Dollar hin. Für den Bund, der sich mit 300 Mio. Euro über die staatliche Förderbank KfW rund
23 % an CureVac sicherte, war dies ein gutes Geschäft, denn er hatte damit innerhalb von wenigen Wochen 1,6 Mrd. Euro Gewinn gemacht – allerdings nur in den Büchern. Denn ein Verkauf der Aktien ist erst Ende Januar 2021 möglich. Lt. Börsenprospekt müssen die Altaktionäre, zu denen vor allem auch SAP-Mitgründer Dietmar Hopp gehört, ihre Anteile nämlich mindestens 180 Tage weiter halten. Das dürfte sich auch weiterhin lohnen, denn sollte CureVac tatsächlich zeitnah einen Impfstoff gegen COVID-19 auf den Markt bringen, wird dies auch den Aktienkurs nach oben treiben. Und die Chancen stehen nicht schlecht, denn der Impfstoff von CureVac befindet sich bereits in der klinischen Testphase an Menschen. Auch hat Dietmar Hopp in der Vergangenheit stets ein gutes Näschen für Erfolg bewiesen.

Für deutsche Anleger sollte es also noch nicht zu spät sein, auf den Zug mit aufzuspringen, auch wenn ihnen die fetten Zeichnungsgewinne von 500 % entgangen sind. Denn durch den Börsengang in Übersee, den die Bank of America, Jefferies und Credit Suisse begleitet hatten, war es für deutsche Anleger fast unmöglich, CureVac-Aktien zu zeichnen und dann bei der Zuteilung auch tatsächlich ein paar Stücke zu erwischen. Dennoch werden gerade die erfolgreichen IPOs von BioNTech und CureVac weitere Nachahmer anlocken, denn für die Emittenten macht es durchaus Sinn. Schließlich sind grundsätzlich die Bewertungen an der Nasdaq höher als hierzulande und die amerikanischen Investoren zudem viel risikofreudiger. Dort werden brilliante Ideen noch brilliant bezahlt.

Es wäre also Aufgabe der Politik, den Börsenstandort Deutschland zu stärken. Doch dann darf sich ein Bundesfinanzminister nicht in der Öffentlichkeit als Sparbuchanhänger outen und ankündigen, die Finanzaufsicht BaFin um Hunderte weitere schlafmützige Beamte aufstocken zu wollen, die dann die kleinen börsennotierten Unternehmen bis aufs Blut mit Formalitäten traktieren,
statt die wirklich kriminellen Jungs dingfest zu machen. Es ist eine Schande, dass Deutsche Börse und Schutzvereinigungen tatenlos zusehen, wie man den deutschen Börsen-standort ausbluten lässt. Es wäre ihre Aufgabe, den Druck auf die Politik zu erhöhen, um die Aktienkultur in Deutschland nicht ganz sterben zu lassen.