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Keine Panik

„2020 könnte unser Jahr werden“

„Das schafft Kaufgelegenheiten“, sagt Jason Thomas vom Finanzinvestor Carlyle und meint damit den derzeitigen Schock an den Börsen, durch den allein in der letzten Februarwoche fast 4 Bill. Dollar an Marktwert bei den Unternehmen weltweit pulverisiert wurden. Auch Leon Back, Chef des Finanzinvestors Apollo, äußert sich im Rahmen einer Podiumsdiskussion beim jährlichen Branchentreffen in Berlin ähnlich: „Ein Abschwung wäre für Apollo nicht schlecht.“ Und weiter: „Das Beste, was wir tun können, ist vorbereitet zu sein.“ Schließlich wisse man nicht, wie sehr und wie lange die Coronavirus-Epidemie die Wirtschaft in Turbulenzen stürzen werde. Daher gehe es darum, den richtigen Zeitpunkt zum Einstieg zu erwischen. Die letzte Kaufgelegenheit dieser Art hatte es während der Finanzkrise 2008 gegeben. Damals hatte Apollo binnen vier Monaten 50 Mrd. Dollar investiert. Eine ähnlich hohe Summe halte man auch jetzt bereit. Und damit ist der Finanzinvestor nicht allein. Viele Private-Equity-Häuser haben ihr Pulver trocken gehalten, um im richtigen Moment zuschlagen zu können. „2020 könnte unser Jahr werden“, sagten dann auch mehrere Investoren der Nachrichtenagentur Reuters. Laut dem Datenanbieter Preqin lagen 2019 weltweit mindestens 77 Mrd. Dollar in ihren Kassen – so viel wie noch nie zuvor.

Und der Tiefpunkt scheint in der Tat nicht mehr weit entfernt zu sein, denn auch der Fear & Greed-Index zeigt nun auf „Extreme Angst bis Panik“. Dieser von CNNMoney entwickelte Index misst die beiden stärksten menschlichen Emotionen, die Einfluss auf das Geschehen an den Aktienmärkten haben: Angst/Panik (Fear) und Gier (Greed). Der Index wird aus verschiedenen Indikatoren berechnet und in einer Skala zwischen 0 und 100 gemessen. Grafisch ist er wie ein Tacho aufgebaut. Hohe Werte lassen auf zunehmende Gier schließen. Anleger fürchten, bei der großen Rally nicht dabei zu sein und gehen immer größere Risiken ein. Je näher der Wert an die 100 rückt, desto gefährlicher wird es auf dem Börsenparkett. Der Markt läuft heiß. Denn wenn jetzt auch die ewigen Börsenmuffel in den Markt einsteigen, wer soll dann noch kaufen? Beim DAX-Stand von 13.795 Punkten vor nicht einmal zwei Wochen zeigte der Index mit 97 dann auch ein hohes Maß an Gier an.

Das Gegenbild war im Dezember 2018 der Fall, der Index stand bei 2 und signalisierte damit hohe Panik unter den Marktteilnehmern. Nach dem katastrophalen Aktienjahr hatten die Anleger scharenweise die Flucht ergriffen, selbst die letzte Reihe hatte ihre Wertpapiere verkauft. Damit ergab sich aber andererseits eine gute Kaufgelegenheit. Denn wer sollte jetzt noch verkaufen und die Kurse weiter nach unten treiben? Es folgte dann auch ein gutes Aktienjahr, in dem die Kurse weltweit im Durchschnitt um 20 % stiegen. Am vergangenen Freitag (28. Februar) stand der Fear & Greed-Index schon wieder bei 8. Er zeigt damit an, dass nun inzwischen auch die breite Masse ihre Positionen auflöst und verkauft. Gleichzeitig rücken damit neue Kaufgelegenheiten näher.

Doch was in der Theorie ganz einfach klingt, ist in der Praxis schwer umzusetzen. Schließlich ist es manchmal fast unmöglich, sich der Euphorie zu entziehen, wenn die Aktienmärkte kein Halten mehr kennen und ihnen politische wie wirtschaftliche Querschläge lange Zeit kaum etwas anhaben können. Zwar gab es gerade Anfang 2020 mit Brexit, Iran-Krise, Polit-Dilemma in Deutschland – und auch schon dem Coronavirus – genügend Anlass zur Sorge. Doch diese Stolpersteine wurden ignoriert, die Kurse liefen stetig weiter nach oben. Auch die technische Verfassung der Märkte war in Ordnung.

Doch dann schlug der Blitz ein und vernichtete auf einen Schlag sämtliche Gewinne des Jahres – ebenso wie alle Euphorie und Zuversicht. In der gesamten DAX-Geschichte seit 1988 mussten Investoren bisher nur sechs Mal solche Kursverluste verdauen. Allerdings folgte dann im Anschluss auch stets eine deutliche Erholung. Dieses Mal war die Ausbreitung des Coronavirus der Auslöser. Doch es scheint so, dass die Angst vor einer Pandemie mehr Schaden anrichtet als das Virus selbst. Das mag daher rühren, dass der Erreger neuartig ist und sich somit kaum Parallelen zur Vergangenheit herstellen lassen.

Das Coronavirus wird häufig mit dem Grippevirus verglichen, das jedes Jahr Zehntausende dahinrafft, aber mit dem die Menschheit dennoch schon seit 100 Jahren lebt. Die erste große Grippeepidemie wird oft nur noch als Randnotiz des 1. Weltkrieges abgehandelt. Dabei infizierte die sog. „Spanische Grippe“ in nur anderthalb Jahren jeden Dritten weltweit. Bis zu 50 Mio. Menschen starben und damit das Fünffache als auf den Schlachtfeldern. Zuerst raffte das Virus die entkräfteten Soldaten in den Schützengräben dahin, danach die ausgemergelte Zivilbevölkerung. Dennoch ist die „Spanische Grippe“ heute im kollektiven Gedächtnis kaum mehr präsent – und das, obwohl weltweit jedes Jahr immer noch zwischen 290. 000 bis 650. 000 Menschen an der Grippe sterben.

Nun gibt es wieder einen neuen Erreger. Und er trifft auf eine Welt, die heute weit stärker vernetzt ist als vor 100 Jahren, aber nicht minder politisch labil. Die Weltwirtschaft ist angeschlagen, und die Bedeutung von China hat gerade in den letzten Jahrzehnten stark zugenommen. Doch damals wie heute machen Viren an Grenzen nicht halt. Ethnien, Kulturen oder Sprachen interessieren nicht. Viren wüten, wo immer sie Opfer finden. Die Angst ist also nur allzu verständlich, doch sie sollte nicht den Blick auf die Realität verstellen. Denn es ist davon auszugehen, dass Forschung und Medizin auch diese Seuche in den Griff bekommen und einen Impfstoff entwickeln werden.

Auch wenn jetzt schon ein Viertel der 500 größten börsennotierten US-Unternehmen vor den negativen Auswirkungen in ihren Bilanzen warnte, wird Donald Trump im Jahr der Präsidentschaftswahl ein längerfristiges Abrutschen der Märkte um jeden Preis verhindern. So könnte er weitere Steuersenkungen für den Mittelstand durchdrücken. Auch hat die amerikanische Notenbank Fed noch die Möglichkeit, die Zinsen weiter abzusenken. Dieses Mittel steht der Europäischen Zentralbank zwar nicht mehr zur Verfügung. Doch sie wird versuchen, durch eine Anhebung der Strafzinsen das Geld im Markt zu halten, was wiederum den Aktienmärkten hilft. Der Anlagenotstand bleibt ebenfalls hoch, was auch zu einer steigenden Zahl an weltweiten Unternehmensübernahmen führen kann. Derzeit konferieren die europäischen Finanz- und Wirtschaftsminister über mögliche Konjunkturspritzen. Italien hat bereits angekündigt, die eigene Wirtschaft mit 3,6 Mrd. Euro zu stimulieren.

Was als medizinisches Ereignis im chinesischen Wuhan begann, hat sich inzwischen zum politischen und wirtschaftlichen Stresstest für die Weltgemeinschaft entwickelt. Privatanleger sollten dennoch nicht in Panik verfallen, sondern es vielmehr den Finanzinvestoren gleichtun und sich auf die Lauer legen, um die sich bietenden Kaufgelegenheiten nicht zu verpassen. Die ES-Redaktion hat in ihren Randnotizen eine Auswahl an Titeln zusammengestellt, die auf der Watchlist von Privatanlegern landen könnten.