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18 bewegende Jahre

Eine Zeit voller Dynamik, Zahlen, Krisen und Chancen

Wie im Januar 2025 per Ad-hoc-Mitteilung veröffentlicht, werde ich zum 17. August die Effecten-Spiegel AG verlassen – nach 18 Jahren Vorstandstätigkeit und fast 30 Jahren im Unternehmen. 18 Jahre sind eine lange Zeit, insbesondere an der Börse mit ihren täglich wechselnden Launen. Ob es die großen Themen waren, die unsere Gesellschaft in Atem hielten oder die kleinen, oft unbemerkten Ereignisse – sie alle haben unseren Mikrokosmos geprägt und uns zu dem gemacht, was wir heute sind.

Als ich am 1. Februar 1997 bei der Effecten-Spiegel AG meine Tätigkeit aufnahm, war die Gesellschaft selbst noch nicht an der Börse notiert. Ihre Aktien wurden, wie die meisten Wertpapiere damals auch, im sog. Telefonhandel gehandelt. Das Internet steckte noch in den Kinderschuhen, ebenso die Kommunikation per Mail. Geschrieben wurde auf elektrischen Schreibmaschinen, der Versand erfolgte über den Postweg oder auch per Fax. Die Abonnentendatei des Journals existierte in Form von Papier-Karteikarten.

Schon wenige Jahre später hatte sich auch die Effecten-Spiegel AG digitalisiert, was ich als Prokuristin maßgeblich vorangetrieben hatte. Im Jahr 2007 dann ein tiefer Einschnitt: Durch den plötzlichen Tod von Bolko Hoffmann verlor die Gesellschaft ihren Firmengründer und langjährigen Alleinvorstand, die Börsenwelt einen unerschrockenen Kämpfer für die deutsche Aktienkultur und ich einen erfahrenen Mentor. Und damit begannen für mich als nachfolgender Einzelvorstand der Gesellschaft 18 bewegende Jahre:

Finanzkrise 2008 / 2009

Fast zeitgleich mit dem Tod von Bolko Hoffmann und meinem Amtsantritt brach die Finanzkrise über uns herein – und das im doppelten Sinn:

Die Effecten-Spiegel AG wollte 1997 als Mehrheitsaktionärin der Commerzbank von 1870 (die sog. Altbank) übernehmen. Die Commerzbank (Neubank) wollte dies juristisch mit aller Kraft verhindern. Zehn Jahre – und damit seit meinem Einstieg beim Effecten-Spiegel – tobte ein erbitterter Streit vor Gericht, der zeitweise Züge eines Wirtschaftskrimis annahm. Doch Ende 2007 wurden dann auch die letzten beiden ES-Beschwerden vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zurückgewiesen. Die Commerzbank ihrerseits hatte damit begonnen, die Altbank-Aktien an allen Börsen zu delisten, weshalb die 47%ige ES-Beteiligung an der Altbank komplett abgewertet werden sollte. Zusammen mit der Beteiligung an der IG Farben i.L. bedeutete dies einen Verlust von immerhin 5,6 Mio. €. Und das mitten in der Finanzkrise!

Um diesen worst case zu verhindern, nahm ich über unseren Aufsichtsrat Herrn Aleff zum damaligen Commerzbank-Chef Müller Kontakt auf. Es folgten wochenlange, schwierige Verhandlungen – ausschließlich auf bilateraler Vorstandsebene. Schließlich aber konnten alle außenstehenden Kleinaktionäre ihre Altbank-Aktien für 10,34 € an die Commerzbank verkaufen, bevor die Altbank im Handelsregister gelöscht und ihre Notierung im September 2008 für immer eingestellt wurde.

Uns brachte der Verkauf der Commerzbank Altbank-Aktien einen Gewinn nach Steuern von 5,1 Mio. €. Die Effecten-Spiegel AG schüttete damit im Jahr 2008 eine Dividende von 1,00 € für 2007 und 0,50 € für 2008 aus.

Europäische Schuldenkrise 2010

Mitten in der Schuldenkrise trat das Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz (BilMoG) in Kraft. Ziel war die Modernisierung des deutschen Bilanzrechts im Handelsgesetzbuch (HGB) und eine vereinfachte Angleichung an internationale Rechnungslegungsstandards (IFRS). In der Praxis wurde die Kombination aus Schuldenkrise, beginnender Niedrigzinsphase und BilMoG aber zur toxischen Mischung für die Bilanzen vieler deutscher Unternehmen.

Für unsere Gesellschaft führte die Neuregelung zu einem Anstieg der Pensionsrückstellungen im Jahresabschluss. Gleichzeitig durften die eigenen Anteile ab 2010 nicht mehr als Vermögenswert aktiviert werden. Konkret: Die in den Jahren bis 2007 am Markt gekauften Effecten-Spiegel-Aktien flogen auf der Aktivseite der Bilanz raus. Auf der Passivseite wurden die entsprechenden Rücklagen in gleicher Höhe aufgelöst. Im Ergebnis verkürzte dies die Bilanzsumme unserer Gesellschaft auf einen Schlag um 4,8 Mio. €. Außerdem war die Zuschreibung für die eigenen Aktien durch Wertaufholung als ausschüttungsfähiger Gewinn von 2,2 Mio. € futsch.

Trotzdem konnte 2010 ein Jahresüberschuss von knapp 4,2 Mio. € erzielt werden. Alleine 1,5 Mio. € nach Steuern kamen aus der Annahme des freiwilligen Übernahmeangebots der Deutschen Bank für die Postbank-Aktien. Nach 0,55 € Dividende für 2009 wurde für das Geschäftsjahr 2010 insgesamt 1,00 € an die Aktionäre ausgeschüttet.

Trotz des hohen Gewinns aus dem Postbank-Engagement reichte die Effecten-Spiegel AG Klage gegen die Deutsche Bank ein, um zu verhindern, dass diese Art der Übernahme Schule macht und die Kleinaktionäre künftig nach dieser Blaupause abgezockt werden können. Von Tausenden Postbank-Aktionären waren wir 2010 aber die einzige Klägerin auf weiter Flur. Denn niemand traute sich an diesen Rechtsstreit – keine Aktionärsschutzvereinigung, keine Investmentgesellschaft, keine Versicherung und auch kein Fonds!

Euro-Krise 2011

Nachdem 2011 beim Blitz-Stresstest der Europäischen Bankenaufsicht sechs deutsche Banken durchfielen, wurde der Bankenrettungsfonds SoFFin neu aufgelegt. Der DAX beendete das Jahr 2011 mit –35 %, der EuroStoxx 50 sogar mit –37,11 %.

Die Effecten-Spiegel AG schloss dagegen erneut mit einem positiven Ergebnis ab und schüttete wie jedes Jahr eine Dividende aus: 0,40 € bekamen die Anteilseigner je ES-Aktie.

Inflations- und Zinskrise ab 2012

Im Nachgang zur BilMoG-Einführung musste rückwirkend die Veranlagung der eigenen Anteile für die Jahre 2001 bis 2007 korrigiert werden, was zu einer erheblichen bilanziellen Belastung im Geschäftsjahr 2012 führte.

Da aber durch die hohe Inflation Silber auf einen Rekordwert stieg, konnte der erst 2009 gekaufte Silver-ETF mit einer Rendite von 120 % veräußert werden, was alleine 1,3 Mio. € Gewinn brachte. Die Danisco-Anteile wurden nach einer zweijährigen Haltedauer ebenfalls mit einem Profit von 1,3 Mio. € an DuPont verkauft und damit 100 % Kursgewinn realisiert. Damit kam der Jahresüberschuss 2012 auf 1,77 Mio. €, was eine Dividendenzahlung von 0,50 € für die ES-Anteilseigner ermöglichte.

Im Geschäftsjahr 2013 legte der Überschuss nach Steuern nochmals auf über 3 Mio. € zu, die Ausschüttung je ES-Aktie stieg auf 0,75 € und konnte für die nächsten Jahre auf diesem Niveau gehalten werden.

Im Sommer 2014 kam es dann im Postbank-Verfahren für unsere Gesellschaft zum entscheidenden Durchbruch vor dem Bundesgerichtshof in Karlsruhe. Der BGH bestätigte die Rechtsauffassung der Effecten-Spiegel AG, die damit Rechtsgeschichte schrieb.

Brexit-Krise 2016

Im Jahr des Brexit lag der Jahresüberschuss unserer Gesellschaft bei 3,24 Mio. €, der Bilanzgewinn bei 3,81 Mio. €. Die Gewinnrücklage war mit 7,5 Mio. € aufgefüllt, und an die Anteilseigner wurden 0,80 € als Dividende ausgeschüttet. Der Gewinnbeitrag des Verlags in seinem 45. Jahr kam auf 10 % des Jahresüberschusses.

Zum 45-jährigen Jubiläum wurde das Journal noch einmal nachgebessert und an die Leserwünsche nach mehr Übersichtlichkeit und Lesbarkeit angepasst: Das Format wurde größer, das Papier griffiger und das Layout moderner. Der Umfang erweiterte sich um vier Seiten. Mit der neuen Platzierung auf den Seiten 4/5 erhielt der Leitartikel mehr Raum, und es wurde die neue Rubrik „Randnotizen“ eingeführt. Hier werden seitdem allgemeine Börsen-, Steuer- und Finanzthemen behandelt. 459 Randnotizen habe ich bis heute geschrieben, dazu kommen 323 Leitartikel aus meiner Feder.

Trump wird US-Präsident

Die Story des Jahres 2017 war Donald Trump und sein Regierungsstil „Twitter by night!“ Seine verbalen Provokationen führten dann auch zum ersten Mal seit dem Kalten Krieg zu einer massiven Gefährdung der globalen Sicherheitslage und einer tektonischen Verschiebung der Machtblöcke.

Doch die Börse schien diese Risiken zu ignorieren und feierte Trumps-Politik. Und die Effecten-Spiegel AG konnte mit einem Jahresüberschuss von 3,82 Mio. € und einem Bilanzgewinn von über 4 Mio. € ein erfolgreiches Geschäftsjahr abschließen, an dem die Aktionäre mit einer Dividende von 0,90 € partizipierten.

Corona-Krise

Dann kam das Jahr 2020, in dem ein kleines Virus die ganze Welt vergiftete. Die Welt fuhr sich abrupt runter, das
öffentliche Leben und der Handel standen still. Doch der Effecten-Spiegel war noch da. Im Gegenteil: Mit der Folge „Die dreckige Wahrheit“ ging der ES zum ersten Mal on Air. Im April wurde schon 2x pro Woche ein Podcast produziert, der im Apple Podcast Ranking der Sparte Investing auf Platz 15 kam. Doch die Börse taumelte:

Der DAX verlor innerhalb von nur 4 Wochen 40 %! Der Handel im S&P 500 wurde allein 3x in nur 6 Handelstagen ausgesetzt! Und während andere Gesellschaften reihenweise ihre Dividenden streichen mussten, um so in der Coronakrise Liquidität zu schaffen, schüttete die Effecten-Spiegel AG in gewohnter Manier an die Aktionäre 0,55 € je Aktie aus. Der Jahresüberschuss kam auf über 2 Mio. €, der Bilanzgewinn auf 2,4 Mio. €. Nach Abfluss der Dividende wies die Effecten-Spiegel AG zum Jahresultimo unverändert Kapitalrücklagen in Höhe von 51,4 Mio. € und Gewinnrücklagen in Höhe von 8,1 Mio. € aus.

Ukraine-Krieg, Energiekrise und Nahost

Am 24. Februar 2022 kam der Krieg nach Europa. Das Börsenjahr 2022 überbot mit der folgenden Energiekrise in Deutschland noch den Corona-Absturz und wurde zum schwächsten Jahr an den Finanzmärkten seit den 1970er Jahren. Die Inflation erreichte den höchsten Wert seit 1948 (die für uns relevanten Papierpreise stiegen um 150 %), und die Nasdaq fuhr mit –33,4 % einen Rekordverlust ein.

In unserem Postbank-Verfahren kam es jedoch am 13. Dezember zu einer historischen Entscheidung: Zum zweiten Mal (!) hatte der BGH das Berufungsurteil des OLG Köln aufgehoben und die Sache erneut zurückverwiesen.

2023 war ebenfalls kein gutes Börsenjahr. Umso erfreulicher war, dass im Verlagsgeschäft die Umsatzerlöse erstmals seit 2017 wieder über 3 Mio. € stiegen. Unter dem Strich war der Verlag nicht nur profitabel, wie all die Jahre zuvor, sondern lieferte mit einem Gewinn von 733 T€ sogar das beste Ergebnis seit 2006. Und unser Anleger-Podcast kam auf über 60.000 Downloads.

Rekordjahrgang 2024

Der Sommer 2024 fiel komplett ins Wasser – ebenso wie die deutsche Wirtschaft. Die Börsen dagegen ließ das kalt, sie eilten von einem Rekordhoch zum nächsten. Der S&P 500 kam das zweite Jahr in Folge auf ein Plus von über
20 %. Der DAX markierte allein im 1. Halbjahr 30 neue Allzeithochs und beendete das Börsenjahr mit einem Plus von 18,85 %. Der MDAX dagegen verlor 5,71 %, der SDAX 1,78 %.

In unserem Postbankverfahren kam es am 26. April 2024 vor dem Kölner Oberlandesgericht zu einer kleinen Sensation: Derselbe Senat, der uns schon so oft abgewatscht hatte, machte plötzlich eine komplette Kehrtwende und deutete an, dass er den ehemaligen Postbank-Aktionären Recht geben und ihren Ansprüchen gegen die Deutsche Bank stattgeben könnte. Eine Entscheidung wurde vom Gericht für den 21. August 2024 terminiert. Doch dazu kam es nicht, denn kurz vor dem Verkündungsdatum wurde der Termin aufgehoben und auf den 23. Oktober 2024 verlegt.

Am Tag der Terminverlegung kam die Deutsche Bank zum ersten Mal überhaupt in all den Jahren auf uns zu und bot Vergleichsgespräche an. Letztlich stimmten die finanziellen Konditionen, auf die wir uns schließlich Anfang September einigen konnten. Aber auch juristisch hatten wir alles erreicht, denn schon mit dem ersten BGH-Urteil vom 29. Juli 2014 hatten wir Rechtsgeschichte geschrieben. Und das Urteil vom 23. Oktober 2024 ist bahnbrechend, auch wenn es bis heute noch nicht rechtskräftig ist.

Ende 2024 konnte mit dem Verkauf der Restbeteiligung an der infas Holding AG noch ein weiteres Kapitel geschlossen werden – mehr als 20 Jahre nach unserem Erstengagement. Dazwischen aber lagen harte Jahre mit hohen Abschreibungen – bis auf unter 1 € je Aktie. Denn das ursprüngliche Ziel einer strategischen Synergie verpuffte schon im Ansatz. Dazu kamen die Medienkrise und hausgemachte Probleme. Daher hatten wir unsere Anteile im Laufe der Jahre zumindest immer weiter reduziert und nun schließlich den Restbestand an die französische IPSOS verkauft. Als Kernaktionärin hatte die Effecten-Spiegel AG maßgeblichen Einfluss auf die Preisverhandlungen für das Übernahmeangebot von letztendlich 6,80 € je infas-Aktie. Für unsere Gesellschaft hieß das: 4,9 Mio. € Gewinn für 2024. Das Totalergebnis seit 2002 kommt damit auf 10,4 Mio. € Gewinn!

Bedingt durch die hohen Sondererträge aus dem Vergleich mit der Deutschen Bank und dem Beteiligungsverkauf der infas Holding AG kam der Jahresüberschuss für 2024 nach Steuern und Abschreibungen auf 11,1 Mio. €, womit es das zweitbeste Jahr für unsere Gesellschaft in ihrer über 50-jährigen Unternehmensgeschichte überhaupt war. Von diesem Jahresüberschuss wurden über 7 Mio. € bzw. 2,00 € je dividedennberechtigter ES-Aktie ausgeschüttet – die höchste Dividende in unserer Firmengeschichte! In den 18 Jahren meiner Vorstandstätigkeit wurden damit insgesamt über 44,9 Mio. € an die Anteilseigner ausgeschüttet. Das sind im Durchschnitt pro Jahr fast 2,5 Mio. € bzw. 0,71 €/Aktie.

Nach Ausschüttung wurde die Gewinnrücklage der Effecten-Spiegel AG um 4,08 Mio. € auf 8 Mio. € aufgestockt. Die Kapitalrücklage beträgt 51,4 Mio. €. Das Eigenkapital kommt auf 75,5 Mio. €, was einer Eigenkapitalquote von 92,01 % entspricht. Darin enthalten ist ein Kassenbestand von 21,49 Mio. €. Bankschulden oder Kreditverbindlichkeiten gab und gibt es keine.

Und nun ist der Moment gekommen, mich nach 18 Jahren an der Spitze unseres Unternehmens zu verabschieden.

Ihnen allen danke ich herzlich für Ihre langjährige Treue und Ihre kritische Begleitung. Auch möchte ich Ihnen für das Vertrauen danken, das Sie mir fast zwei Jahrzehnte hinweg entgegengebracht haben. Dieses Vertrauen war nie selbstverständlich – es war Verpflichtung und Antrieb zugleich.

Gemeinsam mit dem gesamten ES-Team, dem Aufsichtsrat sowie externen Partnern haben wir viel erreicht, weshalb ich mit Stolz mein Amt an meine Nachfolgerin, Susanne Neuschäffer, übergebe. Sie ist mit 24 Jahren in unserem Unternehmen, davon 10 Jahre als Prokuristin, eine erfahrene Börsenkennerin und Insiderin der Effecten-Spiegel AG.

Und so gehe ich mit einem Gefühl von Stolz, aber auch Demut – und vor allem mit großer Dankbarkeit. Es war mir eine Ehre und Freude, dieses Unternehmen zu führen und dieses Journal für Sie, die Leser, Woche für Woche zu erstellen.

Ihre Marlis Weidtmann