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„Hey Boss, ich brauch mehr Geld!“

Hyper-Inflation droht

Ob an der Tankstelle, im Supermarkt oder beim Heizgeld – die Inflation ist überall zu spüren und hat mit 8,7 % den höchsten Wert seit dem Winter 1973/74 erreicht, als Gunter Gabriel auf der Bühne dröhnte: „Hey Boss, ich brauch mehr Geld!“ Ende oder Anfang – droht nun die Hyper-Inflation? Und wie können sich Anleger schützen? Geht das überhaupt?

Sie sind die Hüter unseres Geldes – die Finanzminister und Zentralbanker der einzelnen Staaten. Die Besten von ihnen bilden den Gouverneursrat des IWF (International Monetary Fund), einer Sonderorganisation der Vereinten Nationen zur Stärkung der internationalen Zusammenarbeit in der Währungspolitik. Eine Elitetruppe also, die auf ganzer Linie versagt hat, wie die geschäftsführende IWF-Direktorin Kristalina Georgieva nun eingestand: „Wir treffen Entscheidungen mit einem Ziel vor Augen und denken selten darüber nach, was passieren könnte, was nicht unser Anliegen ist, und dann ringen wir mit den Auswirkungen der Entscheidung.“

Weil die Zentralbanker nicht in der Lage sind, die Konsequenzen ihres Tuns einzuschätzen, hatten viele von ihnen auch noch im vergangenen Jahr die steigende Inflation als „vorübergehenden Schock“ eingestuft. Die Europäische Zentralbank (EZB) hatte ja die Energieinflation sogar ganz übersehen und daraus die irrige Annahme abgeleitet, „dass Energie in den Jahren 2023 und 2024 voraussichtlich nicht zur Gesamtinflation beitragen wird“, so EZB-Direktorin Isabel Schnabel noch im Januar dieses Jahres (vgl. Ausgabe 3/22 Randnotizen). Doch die Kombination aus Pandemie, Lieferengpässen und Krieg in der Ukraine hat nun die Inflation an den Märkten auf der ganzen Welt nicht nur steigen lassen, sondern weit über die Ziele der Zentralbanken hinausschießen lassen. Im Euroraum lag sie im Mai 2022 bei 8,1 %, gegenüber nur 2,0 % ein Jahr davor. Die jährliche Inflationsrate in der Europäischen Union lag im Mai 2022 bei 8,8 %, gegenüber 2,3 % im Mai 2021.

Nur die Schweiz, obwohl inmitten Europas, bildet eine Ausnahme. Dort betrug die Inflation zuletzt 2,9 %. Aber die Schweizer decken ihren Strombedarf auch zu über 90 % mit eigener Kernenergie, Wasserkraft und Geothermie. Mehr als die Hälfte wird allein in Stauseen erzeugt. Fast jedes fünfte Haus ist mit Wärmepumpen ausgestattet, nur wenige mit einem Gasheizkessel. Darüber hinaus haben sich die Eidgenossen nicht dem Euro-Verbund angeschlossen und tun alles für die Stärke ihrer Währung. Denn ein starker Franken macht Einfuhrprodukte deutlich günstiger. Damit importiert die Schweiz weniger Inflation als der Euroraum mit seiner Gemeinschaftswährung, wo sich die Lage aktuell brutal verschlimmert. Länder wie Deutschland mit hohen Einkommen und noch höherer Energieabhängigkeit erleben die höchsten Inflationsraten seit 48 Jahren. Wie das Statistische Bundesamt mitteilt, lag die Inflationsrate in Deutschland − gemessen als Veränderung des Verbraucherpreisindex (VPI) zum Vorjahresmonat im Mai bei 8,7 % und damit mehr als viermal so hoch wie das eigentlich von der Europäischen Zentralbank vorgegebene Ziel von 2,0 %.

„Eine ähnlich hohe Inflationsrate gab es zuletzt im Winter 1973/1974 im früheren Bundesgebiet, als infolge der ersten Ölkrise die Mineralölpreise stark gestiegen waren.“ (Dr. Georg Thiel, Präsident des Statistischen Bundesamtes)

Damals aber hatte Deutschland noch die Kernenergie sowie die Stein- und Braunkohle, um einen Großteil der Energieversorgung selbst abzufedern. Die Inflationsrate in den 1970er Jahren wurde also allein durch die Ölverknappung erzeugt. Im Zuge der Energiewende hat sich Deutschland aber weitgehend von den konventionellen Quellen verabschiedet. Kein Wunder also, dass die aktuellen Preise für Energieprodukte in Deutschland um 38,3 % über dem Niveau des Vorjahresmonats lagen und sich leichtes Heizöl mit +94,8 % im Mai nahezu verdoppelte. Auch Erdgas und Kraftstoffe haben sich mit +55,2 % bzw. +41,0 % extrem verteuert. Beim Strom lag das Plus bei 21,5 %. Aber auch für Nahrungsmittel mussten die privaten Haushalte tiefer in die Tasche greifen, im Schnitt 11,1 % mehr als noch ein Jahr zuvor. Insgesamt verteuerten sich die Güter des täglichen Bedarfs um 17,9 %, Dienstleistungen wie z.B. die Wartung und Reparatur von Wohnungen und Wohnhäusern um 12,1 % sowie von Fahrzeugen um 6,1 %.

Nicht viel besser sieht es in den USA aus. Dort legte die Inflation trotz erster Zinsschritte der Fed im Mai gegenüber April um satte 1 % zu, was im Vergleich zum Mai 2021 einem Anstieg auf 8,6 % entspricht. Dabei beschleunigte sich auch die Kerninflationsrate, aus der die bekannten Preistreiber Energie und Nahrungsmittel herausgerechnet werden. Denn durch eigene und vor allem chinesische Lockdowns kam es zu einer zusätzlichen Angebotsverknappung. Daher legten Powell & Co. nun nach und erhöhten den Leitzins kurzerhand nochmals um 75 Basispunkte. Es ist die stärkste Erhöhung seit knapp 30 Jahren. Und in Europa?

„Die EZB traut sich und traut sich doch nicht.“ (LBBW)

Die EZB will erst am 21. Juli den Einlagenzins mit einem Trippelschrittchen anheben: um 25 Basispunkte. Vorher aber wird erst wie geplant das Anleihekaufprogramm zum 1. Juli beendet. Zwar stellte sie für September schon den nächsten Zinsschritt in Aussicht, der durchaus größer als 25 Basispunkte ausfallen könne, hielt sich aber erneut ein Hintertürchen offen und verpasste letztlich die Gelegenheit, ein Zeichen der Entschlossenheit zu senden. Die Schweizer Notenbank SNB dagegen reagierte völlig unerwartet mit einer deutlichen Zinserhöhung um 0,5 Prozentpunkte, was eine Stressreaktion an den Märkten auslöste. Es folgte ein Abverkauf sämtlicher Assets, der zu einem beispiellosen Kursverfall führte, unabhängig von der Substanz der Unternehmen. Allein der DAX verlor in den acht Tagen 1.700 Punkte, seit Jahresanfang liegt er mit fast 20 % im Minus, ähnlich wie der S&P 500 (–23 %). Der Nasdaq Composite bringt es auf gut 31 % Wertverlust. Bei den Kryptowährungen kam es zu einem regelrechten Cybermoney-Crash, der nicht nur Staaten wie El Salvador und Panama in Bedrängnis bringt (vgl. Leitartikel in ES 18/22), sondern auch Anleger. Allein beim Bitcoin sind nämlich inzwischen zwei Drittel an Wert futsch.

Die Inflation muss nun also sinnvoll von den Notenbanken gesteuert werden – eine schwierige Aufgabe. Während der Ölkrise schob der damalige Fed-Chef Paul Volcker die US-Zinsen in der Spitze bis auf 20 % hoch. In Deutschland erhöhte die Bundesbank den Diskontsatz von 4,5 auf 7 % und den Lombardzins von 6,5 auf 9 %. Beim Nominalzinssatz für langfristige Anleihen wurde zwischen 1970 und 1974 ein Durchschnittswert von 8,9 % erreicht. Damit bekam man zwar damals die Inflation in den Griff, aber der Preis war hoch: eine schwere Rezession und Millionen Arbeitslose.

„Das Phänomen ist, wir sind in einer Sackgasse ... und kommen an die Grenzen der Funktionsweise des Eurosystems.“ (Prof. Hans-Werner Sinn, ehem. Präsident des ifo Instituts)

Zwar sind die Zinsen historisch gesehen auf einem extrem niedrigen Niveau, trotzdem sind Zinsanhebungen äußerst riskant. Bis zum 3. Quartal dieses Jahres hatte die EZB Staatspapiere im Volumen von 4.000 Mrd. Euro(!) aus dem Verkehr gezogen und dadurch vor allem die Volkswirtschaften der schwachen Euro-Länder entlastet. Nun drücken die Schulden doppelt, einigen könnte die Staatspleite drohen und Europa eine neue Eurokrise. Zudem sind aktuell die monetären Risiken nicht mehr nur allein über die Geldmenge zu regulieren, da sie zunehmend auch auf politischer Ebene angesiedelt sind. Je länger der Krieg in der Ukraine dauert, um so knapper und damit um so teurer wird Energie. Die Bundesnetzagentur zeigt sich zunehmend besorgt und schlägt eine Absenkung der Mindesttemperatur in Räumen auf 16 bis 18 Grad vor. Wirtschaftsminister Habeck ruft zum Energiesparen auf und die bisher sehr geschlossene westliche Allianz beginnt zu bröckeln. Die in Deutschland zunächst recht moderate Anpassung von Löhnen und Gehältern könnte eine zunehmende Dynamik erhalten und eine gefährliche Lohn-Preis-Spirale in Gang setzen, die am Ende auch Jobs kostet. Dem deutschen Arbeitsmarkt könnte also der eigentliche Stresstest noch bevorstehen. Doch Bargeld zu horten, macht keinen Sinn, wie die Vergangeheit zeigt. Allen Geldentwertungen und anderen staatlichen Enteignungen konnten Bürger stets am besten mit Aktien entkommen. Viele erstklassige Werte sind inzwischen extrem günstig. Als seriöse Sachwerte bilden sie die gesamte Wertschöpfungskette einer Firma bzw. ganzer Volkswirtschaften ab. Vor allem nach schweren Krisen oder Kriegen hat sich ihr Kauf auf niedrigem Niveau als beste Strategie zur Vermögenssicherung stets bewährt.

In Zeiten hoher Inflation schützen allein solide Sachwerte wie Aktien das Vermögen der Bürger, weil hier ein Realwert hinterlegt ist. Anleger, die noch nicht im Markt sind, können auf dem aktuellen Kursniveau erste Anfangspositionen wagen, andere kaufen jetzt schrittweise nach.