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„Gemeingut Wohnen“

Die neue Utopie vom Gemeinwohl

Die Unantastbarkeit von Privateigentum wurde in der Bundesrepublik jahrzehntelang nie in Frage gestellt. Doch wachsende soziale Ungleichheit und Dauerkrisen lassen die Rufe nach Vergesellschaftung von Privateigentum und Unternehmen lauter werden – eine neue Utopie vom Gemeinwohl ist geboren. Dabei hat die Geschichte schon mehrfach bewiesen, dass eine Gesellschaft, in der allen alles gehört und die nicht auf Rendite abzielt, nicht funktioniert. Denn sie scheitert immer wieder am Menschen selbst.

Parallel zur Bundestagswahl 2021 gab es damals in der Bundeshauptstadt Berlin noch eine weitere wichtige Abstimmung: das Volksbegehren zur Initiative „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“. Die Idee dahinter: Die Wohnungen großer Immobilienkonzerne mit mehr als 3.000 Wohnungen zu vergesellschaften und in eine Anstalt des öffentlichen Rechts (AöR) zu überführen – mit einer eigenen Selbstverwaltung der Mieterinnen und Mieter und Mitspracherechten. Nicht Rendite, sondern das Gemeinwohl sollten dann die Mietpreise bestimmen und Wohnraum bezahlbar machen. In ihrer Broschüre „Gemeingut Wohnen“ erläutern die Initiatoren Einzelheiten zu ihrem Konzept, z.B. zur Vergabe von Wohnungen:

„Wohnungssuchende können in der AöR ihren Bedarf anmelden und an einem Losverfahren teilnehmen. ... Es gibt keine Möglichkeit, sich für eine bestimmte Wohnung zu bewerben. Bewerber:innen nehmen an der Verlosung aller Wohnungen teil, die ihrem angemeldeten Bedarf entsprechen. ... Klare und eindeutige Vergabekriterien der AöR regeln, welche Wohnungen für welche Haushalte infrage kommen.“ (S. 15 der Broschüre „Gemeingut Wohnen“)

Obwohl den Berlinern eigentlich das Ergebnis solcher „Gemeingut“-Fantasien durch real-existierende Plattenbausiedlungen wie in Marzahn noch ziemlich gegenwärtig ist, stimmte eine deutliche Mehrheit 2021 für die Enteignung. Daraufhin hatte der Berliner Senat eine Kommission eingesetzt, um prüfen zu lassen, ob dies rechtlich überhaupt zulässig ist. Die 13 Experten hatten im April 2022 ihre Arbeit aufgenommen und vor einer Woche ihren 152 Seiten starken Abschlussbericht vorgelegt. Das Ergebnis: Die Enteignung großer Wohnungsunternehmen in Berlin ist verfassungsmäßig möglich.

„Sie finden die Möglichkeit der Vergesell­schaftung in Artikel 15 des Grundgesetzes.“ (Kommissionsvorsitzende Herta Däubler-Gmelin)

Nun ist die Regierung des Landes Berlin in der Pflicht, denn die Koalition hat für genau diesen Fall vereinbart, ein Vergesellschaftungsrahmengesetz zu beschließen. Es soll zwei Jahre nach der Verkündung in Kraft treten und vorher vom Bundesverfassungsgericht überprüft werden. Danach könnte Berlin den Konzernen ihre Wohnungen zwangsweise abkaufen, die z.T. erst 2004 recht lukrativ verkauft wurden, weil man diese nicht bewirtschaften konnte und hohe Kreditlasten darauf lagen (vgl. Randnotizen ES 19/19).

Nun also die Kehrtwende? Aber diese kann sich die hochverschuldete Hauptstadt gar nicht leisten. Auch wenn die Firmen nicht zum wirtschaftlichen Verkehrswert entschädigt, sondern ihnen vielmehr ihr Eigentum zu Schleuderpreisen weggenommen würde, so dürften die Ersatzzahlungen für Hunderttausende Wohnungen am Ende trotzdem einen mittleren zweistelligen Milliardenbetrag ausmachen. Und woher will das Land Berlin diese Gelder nehmen? Auch dazu  gibt die Broschüre der Enteignungsinitiative Auskunft:

„Der größte aus der Kaltmiete zu finanzierende Posten sind jedoch für die ersten
Jahrzehnte nach der Überführung in Gemeineigentum die Entschädigungszahlungen an die Alteigentümer:innen. Unser aktuelles Modell sieht dazu eine Entschädigung deutlich unter Marktwert in Form von Schuldverschreibungen vor.“
(S. 21 der Broschüre „Gemeingut Wohnen“)

Allerdings sieht die Initiative hier auch bereits ihren ersten „Zielkonflikt“ für eine leistbare Kaltmiete für alle Bürger. Zudem wäre kein Geld mehr für notwendige Instandhaltungen übrig. Daher hat man als Sicherheitshebel dann doch wieder das Land Berlin eingebaut, das im Ernstfall für die Verbindlichkeiten der AöR haften soll. Wenn man diesen Plan also tatsächlich irgendwie bewerkstelligen könnte, wäre am Ende dennoch keinem einzigen Mieter geholfen. Vor allem aber würde keine einzige Wohnung dadurch mehr gebaut, im Gegenteil. Investoren würden Berlin fluchtartig verlassen, ihre Gelder abziehen und die Hauptstadt künftig meiden, vermutlich sogar Deutschland. Dabei hat erst vor wenigen Wochen eine aktuelle Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) zutage gebracht, das 2022 aus Deutschland 132 Mrd. US-Dollar an Direktinvestitionen mehr abgeflossen als zugeflossen sind – der höchste jemals bisher verzeichnete Netto-Abfluss aus Deutschland überhaupt und der höchste Abfluss unter allen 46 analysierten Staaten!

„Die stark gestiegenen Abflüsse an Investi­tionskapital aus Deutschland sind ein Warnsignal, dass der Standort an Attrak­tivität verliert.“ (IW-Kurzbericht 43/2023)

Schon der am Verfassungsgericht gescheiterte Berliner Mietendeckel-Flop (vgl. Randnotizen in ES 16/21) hatte Investitionen in den Wohnungsbau abgewürgt und die Neubauzahlen drastisch einbrechen lassen. Dadurch wurde die Mangelware Wohnraum noch teurer, und die Politik entfernte sich immer weiter von ihren selbstgesteckten Zielen. Und gerade jetzt ist die Bauwirtschaft ohnehin schon unter Wasser. Vergesellschaftungen würden auch noch den letzten Investor verschrecken, der in Berlin dringend benötigte Wohnungen bauen will.

„Dadurch, dass der Staat den Privaten ihre Wohnungsbauinvestitionen derart madig macht, entsteht am Ende nur ein volkswirtschaftlicher Schaden.“ (Prof. Dr. Karen Horn, Wissenschaftlerin und Publizistin in Zürich mit Universitätslehrämtern in Berlin und Erfurt)

Berlins Wohnungssituation damit durch Vergesellschaftung zum strahlenden Leuchtturmprojekt für eine nicht auf Rendite, sondern auf das Gemeinwohl ausgerichtete Gesellschaft zu machen, ist Utopie und wird scheitern – so edel der Gedanke auch sein mag. Nicht nur die utopischen Sozialisten gingen mit dieser Idee schon krachend unter, sondern auch die sozialistische Staatengemeinschaft, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg herausgebildet hatte. In der DDR wurden Grund und Boden sowie Immobilien enteignet und zwangskollektiviert. Wohnungen waren dadurch zwar billig, aber auch völlig runtergewirtschaftet und kaum zu kriegen, weil nichts investiert wurde. Außer in den Plattenbauten hatte selbst Ende der 1980er Jahre ein Teil der DDR-Wohnungen kein Bad, einige nicht einmal eine eigene Toilette. Es hat nach dem Mauerfall mehr als 30 Jahre gedauert, die marode Bausubstanz in Ostdeutschland zu sanieren oder abzureißen.

Obwohl die meisten Wohnungen in der DDR in kommunaler oder genossenschaftlicher Hand waren und strikte Vergaberegeln durchgesetzt wurden, herrschte akuter Wohnraummangel. Besonders Alleinstehende warteten jahrelang auf eine Wohnung, sodass Eheleute auch nach ihrer Scheidung bis zu drei Jahren in den gemeinsamen vier Wänden leben mussten, wenn sie nicht alternativ wieder zurück zu ihren Eltern wollten. Die Betriebe gehörten ebenfalls dem Volk (VEB). Profite wurden trotzdem nicht demokratisch verteilt, weil keine erwirtschaftet wurden. Es herrschte Planwirtschaft, die zu Fehlallokationen und Mangelwirtschaft führte. Jeder wurde durchs Sozialsystem geschleppt, bis das System kollabierte.

„Ich sehe das sehr gefährlich. Denn wo ziehen Sie dann die Schlusslinie? Wie viel enteignen wollen Sie denn? Wollen Sie dann auch nicht nur Immobilien ent­eignen, wollen Sie auch Unternehmen enteignen? ... Das führt in einer Marktwirtschaft zum kompletten Chaos und führt dazu, dass sehr, sehr viel Wert und sehr, sehr viel Wohlstand zerstört wird.“ (Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung DIW)

Dass in Deutschland wieder über die Vergesellschaftung von Eigentum debattiert wird, ist äußerst bedenklich. Es könnte der Anfang einer breiten Vergesellschaftungswelle werden, die weit über Berlin und die großen Wohnungskonzerne hinausschwappt. Dabei haben Betriebe wie die Bahn, die Post oder die Telekom gezeigt, dass sie als „Gemeingut“ träge, ineffizient und durch unnötige Verwaltung und Bürokratie aufgeblähte Kostenfresser sind. Aktuell will der Bund die Infrastruktursparten der Deutschen Bahn in eine gemeinwohlorientierte Gesellschaft überführen, um das Schienennetz zu sanieren. Geld dafür gibt es aber weit weniger als nötig. Wie jetzt durchsickerte, wird das Bundesunternehmen nicht einmal die Hälfte der angemeldeten 45 Mrd. Euro erhalten.

Auf soziale Probleme und Ungleichgewichte mit immer neuen staatlichen Regulierungen und Subventionierungen zu reagieren, ist das falsche Mittel und gefährlich zugleich, denn es hebelt die Mechanismen der sozialen Marktwirtschaft aus und nimmt alle essenziellen Anreize.